Herzlich willkommen

 


Vortrag von Ulrich Conzen,

Direktor des Amtsgerichts Düren im Ruhestand.


 

Ohne Recht ist ein menschliches Zusammenleben nicht denkbar. Seit die lange Menschheitsgeschichte primitive Lebensformen verlassen und sich das gebildet hat, was man Kultur nennt, gibt es das Recht und gibt es Menschen, die  von anderen Menschen beauftragt sind, zu entscheiden, was Recht und was Unrecht sein soll.

 

Viele von uns haben in der Schule von Hammurabi (König von Babylonien, 1728 – 1686 v.Chr., umfangreichste Kodifikation babylonischen Rechts, Codex Hammurabi) gehört und das Gehörte wieder vergessen; noch heute wird der angehende Jurist in seiner Ausbildung mit dem Recht der Römer gequält. Hierauf weise ich nur hin, um Ihnen zu zeigen, dass Gerichte eine Einrichtung sind, die es eigentlich schon immer gegeben hat. Es ist daher unmöglich, für das Rechts- und Gerichtswesen einen Anfangszeitpunkt zu setzen, vor den man bei einer historischen Betrachtung nicht zurückgehen könnte.

 

Deshalb darf man annehmen, dass die Geschichte der Dürener Gerichtsbarkeit ebenso alt ist wie die Siedlung bzw. Stadt Düren selbst. Zwar waren Aufgaben, Stellung und Verfahrensweise der Richter einem ständigen Wandel unterworfen. Fränkische Grafen, Schöffen, rechtsgelehrte Räte der geistlichen und weltlichen Gerichte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, die juges der Friedensgerichte und Tribunale der Franzosenzeit, die Friedens-, Amts- und Landrichter der preußischen und deutschen Zeit lösten einander oft unvermittelt ab. Jeder von ihnen war und ist zugleich Produkt, Spiegel und Mitgestalter des geschichtlichen Wandels in Düren und im Rheinland.

 

Gerade im 19. Jahrhundert, als das deutsche Nationalbewusstsein mächtig heranwuchs, war die Befassung mit dem mittelalterlichen germanisch-deutschem Recht sehr beliebt, was dazu geführt hat, dass aus den Archiven viele mittelalterliche Rechts- und Gerichtsurkunden untersucht und durch literarische Veröffentlichungen allgemein zugänglich gemacht worden sind.


Daher kann es nicht verblüffen, dass der geschichtlich Interessierte einen relativ guten Zugang zum mittelalterlichen Rechts- und Gerichtwesen finden kann und feststellen kann, wie sich dieses aus dem Widerspruch und der Synthese dreier Kräfte, der Königsgewalt, der Gewalt des Grundherren und schließlich mehr und mehr aus der Gewalt des Landesherrn entwickelt hat.

Wie muss man sich Gerichtsbarkeit in frühester und früher Zeit in unserer Region vorstellen?


Fränkisches Reich/ Altes Reich

In früher germanischer Zeit – der Heimatforscher Schoop spricht davon, dass in der hiesigen Region die Eburonen gesiedelt haben - lag ursprünglich kein in einem Gesetzbuch niedergeschriebenes Recht vor. Bedürfnis und Volkswille haben das, was als Rechtens angesehen wurde, geschaffen. Als sog. Wahrsprüche oder Weistümer ging es aus der Beratung freier Männer hervor. Dies waren die sog. Urteilsfinder. Hier kommt bereits ein für diese Zeit – die fränkische Zeit - wichtiges Merkmal der alten Rechtsverfassung zum Vorschein, die Unterscheidung zwischen Richter und Urteilsfinder. Zwei Organe, das urteilende und das richtend-vollziehende bilden die früheste Gerichtsverwaltung, nämlich die aus der Mitte der Gemeinde gewählten sog. Rachinburgen (v. germanisch „rachin“ = Rat), der nachmaligen Schöffen, und die vom König bestimmten Richter. Rechtsprechung wurde unter freiem Himmel und an bestimmten Orten vollzogen, die man Ding- oder Malstätten nannte (unten).



Das fränkische Reich zerfiel in Grafschaften, diese wiederum in Hundertschaften. In jeder Hundertschaft gab es eine Dingstätte. Am Gerichtstage hatten alle wehrfähigen Männer der Hundertschaft zu erscheinen.

Das fränkische Gerichtswesen unterschied Grafengerichte, sog. Hoch- und Blutgerichtsbarkeit für Kaptalverbrechen wie Mord, Raub etc., und die sog. Niedergerichte – Centenargerichte für Schuld- und Fahrnisklagen, leichtere unblutige Strafsachen.

Stark vergröbernd kann man sich das Grafengericht als große Strafkammer, das Niedergericht als Amtsgericht vorstellen.

Früheste Zeugnisse eines solchen Gerichtswesens in Düren finden sich in den sog. Metzer Annalen. So fand unter dem fränkischen Hausmeier und dem späteren König Pippin dem Jüngeren – dem Vater Karls des Großen - in der Villa Duria, also hier in Düren im Jahre 747 eine Reichsversammlung statt, während derer ein Gerichtstag abgehalten wurde.

 

Bei der Gelegenheit: Karl der Große (links) soll im Jahre 769, am 25. 12. in Düren das Weihnachtsfest gefeiert haben.

Der Begriff „Schöffengericht“ taucht erstmals 774 im Zuge einer Gerichtsreform Karls des Großen auf, durch welche die bislang von Fall zu Fall eingesetzten Rachinburgen durch Schöffen abgelöst wurden, deren Tätigkeit als Amt institutionalisiert wurde und die allmählich ständige Beamte des königlichen Richters wurden. Sie beschränkten im Hochgericht und im Niedergericht den Grafen bzw. den Centenar, für den später der Name Schultheiß verwendet wurde, auf die bloße Prozessleitung. In den kleinen Dorfschaften handelte es sich um sieben, meist aber um 12 Schöffen. Ihre Aufgabe war es hauptsächlich, auf die Frage des Richters in einer Streitsache ein Urteil zu finden. Der Graf bzw. Schultheiß verkündete das Urteil und sorgte für seine Vollstreckung.

August Schoop schreibt in seiner Geschichte der Stadt Düren aus dem Jahre 1923, dass sich in der Dürener Gemarkung eine Dingstätte einer Hundertschaft in dem Flur befunden habe, auf welcher bis vor einigen Jahen das Annaheim für Blinde stand.


Im Jahre 775 begann Karl der Große von Düren aus seinen Sachsenfeldzug. Vor dem Auszug seines Heeres, so ist urkundlich nachgewiesen, wurde in der Dürener Reichspfalzkapelle (Duria palatio publico) eine Kreuzprobe (Gottesurteil) zwischen dem Bischof von Paris und dem Abt von St. Denis abgehalten.

 

Nachdem in Deutschland Städte entstanden waren, erhielten diese eigene Gerichte. Düren lag seinerzeit auf königlichem Gebiet, war also Reichsstadt, erstmals 1226 als Stadt erwähnt.


Ein Beleg über Gerichtsbarkeit im hiesigen Raum bietet der 1. Oktober 1375: An diesem Tag gelobte Herzog Wilhelm von Jülich und seine Frau Maria von Geldern, im Gerichtsbezirk Düren keinen Dürener Bürger ohne Schöffenurteil an Leib und Gut anzutasten.


(rechts  Wappen Wilhelm II. von Jülich)


 

In Düren gab es neben dem Herren- oder Vogtgeding („Ausläufer“ alten Grafengerichts, Vorsitz führte der Amtmann, der höchste Beamte des Verwaltungsbezirks, in die das Herzogtum Jülich im 14. Jhd. gegliedert wurde), das im 16. Jhd. seine Bedeutung verlor, ein Schöffengericht, dessen Vorsitzender der vom König bestellte Vogt war, später Richter geheißen, ab dem 16. Jhd. Schultheiß (links).

 

Im sechszehnten Jahrhundert war das Schöffengericht in Düren Obergericht für die vier Schöffengerichte in Lendersdorf, Derichsweiler, Arnoldsweiler und Merzenich. Strafgelder zog der Schultheiß ein und lieferte sie an die landesherrliche Kasse in Düsseldorf, woran sich bekanntlich bis heute nichts geändert hat.

 

Neben dem Schöffengericht gab es das Bürgermeister- oder Ratsgericht, das über Streitigkeiten in Maß, Gewicht und Geldforderungen entschied.


Dessen Einrichtung erfolgte im Jahre 1603 und es wurde vom Landesherrn, dem Herzog Philipp Wilhelm von Jülich relativ zeitnah bestätigt, nämlich schon im Jahre 1661. Ferner erlaubte er die Appellation vom Bürgermeistergericht an das herzogliche Hofgericht in Düsseldorf.

 Stadt Düren, wie sie im Jahr 1634 aussah ( Wenzel Hollar)

 

Franzosenzeit

 

1794 eroberten und besetzten französische Revolutionstruppen die linksrheinischen Reichsgebiete mit den Städten Trier, Aachen, Köln, Bonn und Koblenz. Damit war im Grunde das Gebiet, das später im Wesentlichen den Bezirk des Rheinischen Appellationsgerichtshofes und ab 1879 des Oberlandesgerichts Köln (mit Ausnahme Koblenz, Trier) ausmachte, bereits abgesteckt. Ab Ende 1797 begannen die Franzosen, das besetzte Land links des Rheins wie einen Teil ihres Staates zu behandeln.

 

Sie schufen zweckmäßige Verwaltungseinheiten statt des vorgefundenen sog. „Flickenteppichs“, einer Vielzahl von Territorien, zu denen z.B. die kirchlichen Kurfürstentümer Köln und Trier, die Herzogtümer Jülich und Kleve, die Freie Reichsstadt Köln als die bedeutendsten gehörten. Damit gelangten die linksrheinischen Länder schließlich unter die Herrschaft des französischen Rechts; ab 23. September 1802 galt aufgrund eines Konsularbeschlusses unmittelbar das französische Recht.

 

Napoleon Bonaparte und der Frieden von Lunéville auf einer französischen Medaille von 1801



Mit dem 1801 geschlossenen Frieden von Luneville erwarb Frankreich das Rheinland schließlich zum integrierten Staatsgebiet. Düren gehörte zum Departement de la Roer mit Aachen als Hauptort. Das Departement de la Roer gliederte sich seinerseits in Arrondissements (Bezirke) und Cantons (Kreise) und diese Kreise  in Communes (Bürgermeistereien).

Bereits mit Wirkung ab Februar 1798 wurden alle bisherigen Gerichte im Rheinland aufgehoben. Nach der neuen Gerichtsverfassung waren alle Bürger vor dem Gesetz gleich, es gab schließlich öffentliche Gerichtssitzungen mit öffentlicher Urteilsverkündung.


In jedem  Canton gab es ein Friedensgericht mit einem Friedensrichter, so in Düren (links)  und in Nideggen.


Ab 1802 waren auf der Ebene des Arrondissements, hier also Aachen, Tribunal erster Instanz für Zivilsachen, auch für Berufungen gegen die Gerichtsurteile des Friedensgerichts, eingerichtet. Für Strafsachen waren auf der Ebene des Departements, hier also für das Departement de la Roer, eigene Gerichte eingerichtet.


Die zweite Instanz war in den Appellationsgerichten organisiert, und zwar in Trier, ab 1804 in Lüttich. Oberstes Gericht war der Kassationshof in Paris (unten).



Für das Großherzogtum Berg (bestehend aus 3 Departements, 9 Arrondissements) war in dessen Hauptort Düsseldorf ein Appellationsgericht eingerichtet, als oberstes Gericht diente der Kassationshof in Paris. Nach Ende des Großherzogtums Berg und zur Zeit des Generalgouvernement Berg fiel die Möglichkeit der Anrufung des Kassationshofes in Paris weg.


Stattdessen wurde in Düsseldorf ein Kassationshof eingerichtet.

Das Friedensgericht war besetzt mit einem Friedensrichter und zwei Beisitzern. Der Friedensrichter war zuständig für geringfügige Streitigkeiten in Zivilsachen, er sollte Streit vermittelnd schlichten und in der freiwilligen Gerichtsbarkeit tätig werden.


In Strafsachen war er zusammen mit zwei männlichen Beisitzern als Polizeirichter tätig und führte auch die  strafrechtliche Ermittlungen. Wichtig ist, dass in dieser Zeit für das gesamte Rheinland im Wesentlichen das gleiche Recht galt; zwischen 1804 und 1811 traten, nachdrücklich gefördert durch Napoleon (links) , die fünf großen Gesetzbücher in Kraft, so allen voran ab 1804 der Code civil, ab 1807 der Code de procedure civile (Zivilprozessordnung), 1808 der Code de commerce, ab 1809 der Code d´instruction criminelle (Strafprozessordnung) zuletzt ab 1811 der Code penal (Strafgesetzbuch). Der code civil trug lange Zeit den Namen code napoleon . Napoleon selbst führte in zahlreichen Sitzungen zur Vorbereitung des Gesetzeswerks den Vorsitz und beeinflusste den Inhalt des Gesetzes maßgeblich.  Das französische Recht brachte – sozusagen als Errungenschaften der Französischen Revolution - die Gleichheit aller Bürger vor dem Richter und vor dem Gesetz, die Mündlichkeit und Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen, die richterliche Unabhängigkeit sowie eine Trennung von Gericht und Anklagebehörde.


Preußische Zeit vor 1879


Nach der Völkerschlacht bei Leipzig im Oktober 1813  musste Napoleon im April 1814 die Krone niederlegen und dankte in Fontainebleau ab.


Napoleons Abschied von der  kaiserlichen Garde  in Fontainebleau (1814)



Preußen erhielt auf dem Wiener Kongress (1814/1815) (unten) nicht Sachsen, was es eigentlich haben wollte. Vielmehr bekam es auf Londons Druck hin das Rheinland – zum Kummer der Kölner bis heute.


 



Pläne des seinerzeitigen preußischen Justizministers von Kircheisen,  in den linksrheinischen Gebieten der

so genannten Rheinprovinz das preußische allgemeine Landrecht und  Gerichtsverfassung einzuführen, um in den preußischen Landen eine neue innerstaatliche Rechtseinheit zu erreichen, stießen seinerzeit auf den Widerstand der Rheinländer, die sich an das modernere französische Recht gewöhnt hatten.



Die vom preußischen König Friedrich Wilhelm III (1797 – 1840) eingesetzte Rheinische Immediat-Justiz-Kommission, die zu prüfen hatte, ob, und wenn ja in welchem Umfange preußisches Rechts im Rheinland eingeführt werden sollte, empfahl nach einem Vergleich beider Rechte das französische materielle Recht und Verfahrensrecht als „Rheinisches Recht zu erhalten: offiziell nur übergangsweise bis zu einer als notwendig erkannten allgemeinen Rechtsrevision in Preußen, praktisch für dauernd, denn die angestrebte Reform des preußischen Rechts zog sich jedoch hin, sodass das französische Recht auf unabsehbare Zeit weiter galt.

 

Bild Kircheisen: Etzagots - Eigenes Werk CC BY-SA 4.0


Bis zum Jahre 1879 wurden nur einige Bereiche des materiellen Rechts durch preußisches Recht ersetzt, so durch die deutsche Wechselordnung von 1848/1849, durch das preußische Strafgesetzbuch von 1851 – dieses aber mit einer bis zur wörtlichen Übernahme der Bestandteile gehenden Anlehnung an den Code penal - und durch das preußische Handelsgesetzbuch von 1862.





 

Dieser „Sonderstellung“ des rheinisch-französischen Rechts entsprach eine hierauf zugeschnittene Gerichtsorganisation.


So kam es 1820 zur Aufhebung der durch die Franzosen errichteten Kreisgerichte, die durch sechs Landgerichte ersetzt wurden, darunter die Landgerichte Aachen und Köln. Über den Rheinischen Landgerichten stand der schon 1819 durch den preußischen König errichtete berühmte Rheinische Appellationsgerichtshof, und zwar – sehr zum Ärger der Düsseldorfer, die ihr Obergericht (Kassationshof) verloren – in Köln.


Rheinischer Appellationsgerichtshof zu Köln

Darüber stand schließlich anstelle des französischen Kassationshofes in Paris der Rheinische Revisions- und Kassationshof mit Sitz in Berlin (ging ab 1852 im Preußischen Obertribunal auf).


 




Ulrich Conzen, Direktor des Amtsgerichts Düren  i.R.











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Quellen/Literatur


Franz Heinemann, Der Richter und die Rechtsgelehrten, Eugen Diederichs Verlag


Marcel Erkens, Die rheinpreußische Friedens-Gerichtsbarkeit 1814 – 1879,

in: 125 Jahre Rheinische Amtsgerichte, Kölner Justiz, Band I


Adolf Klein, Hundert Jahre Akten – Hundert Jahre Fakten, in Justitia Coloniensis, Greven Verlag Köln


August Schoop, Geschichte der Stadt Düren bis zum Jahre 1816, Düren 1923, Selbstverlag des Verfassers


Dieter Strauch, Untergerichte – Friedens- und Amtsgerichte im Rheinland, in: 125 Jahre Rheinische Amtsgerichte, Kölner Justiz, Band I